Samstag, 29. August 2009

Abea (3)


(Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:)

... Es war schon ein seltsames Gefühl. Zur Schule gehen. Mit Kindern, die hier groß geworden waren, alle Wörter kannten, die fremden Dinge, die sie bezeichnen sollten, ja, die sogar genauso aßen wie ihre Nachbarn.
Sag, ich heiße Abea!“
Das hatte ihr Sam erklärt, den sie jetzt Dad nennen sollte. So tat sie es auch, als sie allein mit der Lehrerin vor der Klasse stand. Trotzdem lachten die meisten. Vielleicht hatte sie die Laute nicht richtig betont.
Mrs. Widerman winkte. Daran erkannte Abea, dass vorn dort war, wo die anderen Kinder hinsahen, wenn sie sich nicht gerade feixend wie jetzt zu ihr umdrehten.
Mrs. Widerman fragte so boshaft, als wäre völlig klar, dass Abea nicht wissen konnte, wie viel zwei plus drei sei. Aber sie dachte dabei fünf, so dass Abea laut „Fünf!“ sagte, und auch, als die Aufgaben schwieriger wurden, dachte die Lehrerin immer an die Lösung, die Abea nur laut nachsagen brauchte.
Viel hatte Abea nicht verstanden, aber weil alle ihre Antworten richtig gewesen waren, galt sie von nun an als Rechenass. Rechnen war auch leichter als die fremde Sprache, von der man so viele Worte mit so vielen Bedeutungen behalten musste, und David, der immer am lautesten dachte, formulierte so viele falsche Sätze.
Abea lernte schnell.
Trotzdem war sie traurig. Mathew hatte immer solche Angst vor dem Unterrichtsschluss. Sie fragte ihn, warum er nicht mit den anderen loslaufe.
Lass mich in Ruhe“, antwortete er abweisend. Aber da kamen schon Hobbes und dessen Gang und schlugen auf den kleinen schwarzen Jungen ein. Überrascht und hilflos stand Abea daneben.
In der nächsten Pause jedoch stellte sie sich vor Hobbes hin.
Warum lässt du Mathew nicht in Ruhe?“
Die anderen aus der Klasse bildeten einen Kreis um sie. Hobbes grinste. Sein Gedanke kam genauso schnell oder langsam wie seine Worte: „Weils einfach Spaß macht. Aber wir können ja auch dich nehmen.“
Fast alle lachten.
Nur Benny stand in der Ecke und dachte, Mädchen schlägt man nicht. Er fürchtete sich, das laut zu sagen. So war Abea am Schluss der letzten Stunde auf ihn zugegangen, hatte ihn an der Hand genommen und war mit ihm schweigend durch die Gasse der verwirrten restlichen Jungen geschritten.
Schwarze Hexe!“, rief Hobbes. Aber Abea hätte nicht sagen können, ob das abschätzig oder zumindest etwas anerkennend gemeint war. ...

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