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Dienstag, 13. März 2012

"Im Heute das Morgen" (1)

Unter diesem Titel versuche ich zu sammeln, was Slov ant Gali bisher an utopischen / SF-Geschichten geschrieben hat.
Als erstes wäre das eine Aufbereitung der kurzen Texte aus der bereits erschienenen Anthologie "Mein außerirdischer Liebhaber":

"Abea"
"Mit einem unnützen Mädchen"
"Das Oppi der Reife"
"Sozak - Das Glück hat einen Namen"
"Der Mann, der Anna Roth wurde".

Dienstag, 5. Oktober 2010

… mit einem unnützen mädchen (1)


 Die folgende Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition. 

… mit einem unnützen mädchen

Es war der 25. November. Ich schlief. Was ich noch nicht wusste: Mein Computerwecker war bei null Uhr stehen geblieben und meine Servicenummer (fakultativ) 325 345 365 existierte nicht mehr.
Auch Tanja schlief. Sie war in der Nacht aus ihrem Bett gestiegen und die paar Schritte barfuß zu mir getapst. Ich hatte ihr wie immer etwas Beruhigendes entgegengebrummt und sie an mich gezogen. Die kühlen 15 Grad waren uns beiden nicht aufgefallen. Auch der Sauerstoffgehalt der Luft war erst wenig abgesunken.
Tanja ist das dritte in meinem Bauch gewachsene Kind. Mir war damals nur die Leihmutterschaft als Gelderwerb geblieben. Das hatte Erfolg versprechend mit der Übergabe zweier Jungen begonnen. Die vermögenden Auftraggeberfamilien waren mit mir zufrieden. Die Trockenbaums versprachen sogar, mich später unsterblich zu machen, kamen aber nachher nicht mehr wieder darauf zurück. Das nächste Baby wurde als werdendes Mädchen identifiziert. Ich sollte es abtreiben. Für so was bedurfte man keiner althergebrachten Schwangerschaft. Ich hatte mich geweigert, war deshalb für meinen Beruf untragbar, und kümmerte dahin, immer an der Grenze, vom Netz genommen, abgeschaltet, gelöscht zu werden. Wie soll man Vulgärexistenzen wie mich verwerten? Allein in den illegalen Survivalzonen fragte keiner danach. Dort überlebten angeblich einige Outsider.
Richtige, eben unsterbliche Existenz steht nur der vermögenden Elite zu. Ohne mangelhaft konstruierte Körper sehen diese Menschen sich über Neuronennetzanschlüsse durch eine nach den eigenen Wünschen ausgestaltete Landschaft laufen, schmecken sie die edelsten Speisen und genießen sie die traumhaftesten Partner – ohne jeden störenden Ärger. Ansonsten ändert sich nichts. Großrechnersysteme optimieren alle Lebensfunktionen normalerweise auch in der Vulgärexistenz, nur…
Ich hätte gern weiter geträumt, aber Tanja stößt mir ihren Ellenbogen zwischen die Rippen. Etwas stimmt nicht. Irgendetwas, was anders ist als sonst. Nur was? Grübeln ist sinnlos. Ich schlafe sowieso nicht wieder ein. Obwohl … Ich blinzele. Tanja hat sich halb aufgedeckt. Ich decke sie zu und schleiche ins Bad, komme aber nicht dazu, mir in Ruhe die Zähne zu putzen. Tanja steht plötzlich in der Tür.
Sie hält sich die linke Hand über die Augen und quäkt Warum läuft denn gar keine Musik? Das also ist es – das ewige leise Geräusch hat mir gefehlt. Ich laufe ins Wohnzimmer. Gespenstische Stille, der Monitor dunkel, das grüne Signallicht am Tower glimmt nicht. Ich drücke halb verärgert, halb verängstigt den großen schwarzen Knopf. Auf dem Bildschirm erscheinen drei überdimensionale Ausrufezeichen. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich sie anstarre, lösen sie sich pixelweise auf. An ihrer Stelle füllt ein Schriftzug den ganzen Monitor; Sie haben die vorausgegangenen automatischen Warnungen nicht ernst genommen. Tanja ist hinter mich getreten. Is was, Mama?—Nein, nein. Wie, um mich Lügen zu strafen, kommt die nächste Meldung. Sie haben seit sieben Tagen ihr genehmigtes Limit überschritten. Gleichen Sie innerhalb der nächsten 72 Stunden Ihr Konto aus! Sollten Sie diese Chance bis zum 28. November, 0.00 Uhr, missachten, wird auch Ihr restlicher Nutzercode gelöscht. Alle Schaltfunktionen verbleiben dann in der jeweiligen Ist-Stellung. Die Entsorgung Ihrer Überreste vereinbaren Sie bitte mit einer der zuständigen Firmen. Wählen Sie nach Betätigung des OK-Buttons eine aus!...


Montag, 4. Oktober 2010

Mit einem unnützen Mädchen (2)


 Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:

... Ich setze mich zitternd auf den Computersessel. Ohne zu überlegen drücke ich OK. Sofort scrollt eine Liste über den Bildschirm. Ich versuche, den Computer abzuschalten, aber anstatt mir zu gehorchen setzt er sein Fremdprogramm bei den Ausrufezeichen fort. Das ist also eine Endlosschleife. Genauer, eine Schleife bis zum 27. November, 24.00 Uhr. Dann kommt die Dunkelheit, eine verschlossene Wohnungstür … oder eine nicht mehr verschließbare, sollte ich sie zuvor offen gelassen haben. Aber was hätte ich mit dem Offenlassen meiner Wohnungstür gewonnen, ohne elektronischen Code fürs Haus? Alle Zähler, jeder Strom, einfach alles wäre für mich unerreichbar. Ich wäre tot, bevor ich tot wäre. Und Tanja auch.
Beim zweiten Durchlauf der Schrift, beginne ich zu frieren. Ich bin nackt, so unendlich nackt. Mit starrem Blick renne ich an Tanja vorbei ins Bad und drehe den Hahn für das heiße Duschwasser bis zum Anschlag. Die auf mich einprasselnden Schauer röten mir augenblicklich die Haut. Dampf lässt den Spiegel erblinden. Die Tür geht auf. Tanja wirft ihr Nachthemd neben die Toilette. Ihr Lachen klingt fern. Bevor ich mich ihr richtig zugewendet habe, höre ich sie schreien. Au, Mama, das kocht ja. Ich komme wieder zu mir, regele die Wassertemperatur herunter und beginne, Tanja zu bespritzen. Die lässt am Waschbecken kaltes Wasser laufen, formt ihre Hände zu einer Schüssel und zielt auf meinen Bauch. Treffer! Ich quieke und bald sind wir außer Atem …
Wieder am Computer, beginne ich wie wild zu diktieren. Zum Mittagessen hole ich Tanjas Lieblingspizza aus dem Kühlschrank, und als sie nachmittags auf dem Hof spielen will, sage ich nur, Ich ruf dich dann. Da habe ich schon etwa 200 Mails versendet. Bettelbriefe, Bewerbungen mit der Bitte um Vorschuss, Anfragen nach einem Gelegenheitsjob.
zu den Outsidern? Mit Tanja? Inzwischen ist eine Anfrage nach einem Bild von ihr eingegangen. Wenn noch keine Haare zwischen den Beinen gewachsen seien… Woher hat dieser Ekelbock nur so schnell von meiner Tochter erfahren? Oder hängen sich die Programme der Kinderhändler einfach automatisch an Bewerbungsabsagen? Traurig werfe ich Tanjas Lieblingskleid in den Schmutzwäschebehälter.
Der 26. November vergeht ohne Auffälligkeiten. Ich kann mich einfach nicht entschließen. Was ich über die Outsider gehört habe, schreckt mich ab. Ein verwildertes Dasein mit Tanja? Nein.
Ich checke alle eingegangenen Rückmeldungen: 180 Absagen. Soll ich die unbeantworteten Mails zählen? Vielleicht kommt noch was Positives? Vier Bieter fragen nach Tanja. Alle wollen das Mädchen sofort benutzen. Bleibt wirklich nur die Möglichkeit, unter verschiedenen Formen des Entsorgens zu wählen?! Ich muss handeln. Sonst werden wir in der abgedichteten Wohnung ersticken oder verhungern oder verdursten. Dann wenigstens professionell entsorgt werden. Ich klicke den Katalog an.
Wir garantieren einen Abschied von der Vulgärexistenz für Mutter und Tochter in würdiger Gemeinschaft – schmerzfrei und glückstraumerfüllt. Das also. Eine steuerfinanzierte Leistung. Kaum bin ich auf der Pforte des abgebildeten Gebäudes, verkünden zwei seriös gekleidete Herren, dass sie gern für die gewünschte Operation zur Verfügung ständen.
Der Vertragstext blinkt auf. Bei einem Paragraphen erwache ich kurz. Was? Ich stelle alle meine funktionsfähigen Organe anderen Vulgärexistenzen zur Nachnutzung zur Verfügung … ? Lässt sich das ausschalten? Natürlich. Wir leben ja in einer freien Gesellschaft. Da kann jeder über seinen Körper verfügen. Nur wer auf Weiter klickt, bestätigt sein Einverständnis. Ich nicht. Ihr bekommt keine Ersatzteile aus meinem Körper … und aus Tanjas erst recht nicht. Mit dem Gefühl, es der Welt so richtig gezeigt zu haben, beende ich das Vertragsstudium und signiere mit Karte. 30 Stunden noch. ...


Sonntag, 3. Oktober 2010

Mit einem unnützen Mädchen (3)


 Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:
...
Ich erzähle Tanja eine Gutenachtgeschichte. Dann streiche ich ihr über die Stirn und frage im Tonfall des vorangegangenen Märchens. Wenn plötzlich zwei Männer kämen und wollten uns beide an einen Ort holen, an dem wir noch nie gewesen sind und von wo wir nie mehr zurückkämen, möchtest du dann mit? Tanja murmelt Ist es da schön? Und ich antworte, Schöner als hier. Tanja ist zufrieden.
Als ich unter die Decke krieche, hat sie sich wie ein Embryo zusammengerollt. Kaum spürt sie meine Nähe, versucht sie mich wie einen Teddy zu umfassen. Obwohl ich sie ganz gleichmäßig atmen höre, kann ich nicht einschlafen.
27. November, 7.30 Uhr. Ich habe geträumt, in meinen Schützengraben dringt eine weiße Wolke ein. Winzige Sternchen krabbeln in meine Nase. Ich möchte allzu gern niesen, aber es geht einfach nicht. Ich hole tief Luft … und endlich pruste ich alle diese Gassternchen wieder aus, öffne die Augen und … sehe in Tanjas verschmitztes Gesicht. Sie lacht und dann krümmt sie sich und sieht hoch und krümmt sich schon wieder – wegen meiner Grimmasse. Endlich entdecke ich das Haar in ihren Fingern, das sie gerade aus meinem Nasenloch gezogen hat, und rufe Na warte! Wir balgen herum …unser letzter Tag.
Tanja ist beim Frühstück sehr still. Mit mir scheint etwas nicht in Ordnung. Tanja fragt nicht, guckt mich prüfend an. Aber was soll ich sagen? Die Wahrheit? Mühsam unterdrücke ich meine zitternde Wut wegen der Leute, die viele Leben auf ihrem Konto horten. Die sie nie verbrauchen. Die schon halb an ihre künftige virtuelle Welt angeschlossen sind. Ihre Ewigkeit funktioniert, solange die vulgäre Erde ihnen Energie in den Kreislauf pumpt. Mit einer Schaltung am großen Zentralcomputer wären alle Unsterblichen gelöscht.
Davon wage ich nicht zu träumen. Mein unnützes Ich, was soll ´s? Es ist der Lauf dieser Welt.
Meine Karte piept. Oh nein, jetzt schon? Habe ich nicht noch knapp sechzehn Stunden zu leben? In der Tür stehen tatsächlich zwei Herren. Sie sind korrekt gekleidet, schlichte graue Anzüge mit weißen Hemden, deutlich jünger, als ich sie von der Homepage her in Erinnerung habe. Wir sind wegen der Operation da. Wer von Ihnen soll verewigt werden?
Soll das witzig sein? Als ob sie uns ins ewige Leben brächten! Tanja drückt sich ängstlich an mich. Ich flüstere ihr zu Das sind die Männer, von denen ich dir erzählt habe. Noch immer verschüchtert, aber jetzt auch neugierig schaut Tanja hoch. Ich lege ihr einen Arm um und antworte Wir beide gemeinsam. Wenigstens das werden Sie uns wohl gönnen, oder? Die Männer sehen sich irritiert an. Ja, wir hatten das wohl missverstanden… Selbstverständlich. Die Wünsche unserer Kunden sind uns Befehl. Ich versuche, kühl und beherrscht zu wirken. Wenigstens, solange Tanja nicht heult.Wir sind gleich fertig.
Sie führen uns zu ihrem Fahrzeug. Wow! Was für eine versnobte Karosse! So was von früher: Ausgefallene Sonderanfertigung mit viel Platz im Innenraum und Extras. Schnell, leise und komfortabel. Und das für die letzte Fahrt des Lebens, bezahlt aus Steuermitteln! Wie bei künftigen Unsterblichen! Leider sind unsere Fenster abgedunkelt.
Tanja ist noch nicht richtig aus dem Staunen heraus – sie braucht immer lange, sich an neue Umgebungen zu gewöhnen – da müssen wir aussteigen und stehen vor einem hellen Gebäude. Man lässt uns keine Zeit zum Umsehen, schiebt uns weiter. Erst in einem Empfangssalon bleiben wir stehen. Unsere Begleiter ziehen sich zurück. Irgendwoher erklingt leise harmonische Musik. Wände in schlichten Ockertönen. An mehreren Stellen Regale und Schränkchen. Rechts ein riesiger Rollschrank.
Ich kann meinen Blick nicht länger von der Mitte des Raumes wegdirigieren. Dort wartet der OP-Tisch. Eine mit einem weißen Laken überzogene Liege. Über ihr ein Strahler wie beim Zahnarzt, nur größer. ...


Samstag, 2. Oktober 2010

Mit einem unnützen Mädchen (4 = Schluss)


   
... Dahinter eine junge Frau in Kittel und Kopftuch, beides lindgrün. Sie tritt vor, verbeugt sich andeutungsweise und erklärt Ich bin Schwester Jutta. Ich werde Sie auf die Operation vorbereiten. Herr Trockenbaum kann leider nicht dabei sein. Allerdings …Sie sieht zu Tanja. … fehlen mir Instruktionen… Wer von Ihnen soll zuerst auf die Liege? Tanjas Hand verkrampft in der meinen. Zusammen, bitte! Der Platz auf der Liege reicht doch für zwei. Schwester Jutta zieht die Brauen hoch, zögert einen Moment, antwortet dann aber ruhig Wie Sie wünschen. An e i n e Maschine?
Ja, bitte! Als wäre das ein besonderes Geschenk. Tanja hat jetzt mein rechtes Bein umschlungen. Ich wage nicht, nach unten zu sehen. Trockenbaum? Was hat…? Sollte…? Schwester Jutta spricht mir in den Zweifel hinein. Wir gehen erst einmal ins Bad. Legen Sie bitte Ihre Kleidung ab. … Soll ich dem kleinen Engel helfen? … Selbstverständlich machen Sie das besser. Sie vertraut Ihnen.
Die Luft ist angenehm warm. Mein Körper fühlt sich gestreichelt. Tanja hat sich auf die Seite gedreht und drückt mir ihren Kopf an die Brust. Als ich spüre, dass die Schwester vom Fußende aus ein Tuch über unsere Körper zieht, beginne ich zu strampeln. Bitte nicht! Warum denn schon über unsere noch lebenden Körper? Die Schwester fragt nichts. Im selben Moment ist mir mein Gedanke peinlich. Schwester Jutta tut doch nur ihre Pflicht wie bei allen anderen. Tanjas Locken kitzeln meine Brust. Tanja zittert.
So, Prinzessin, mit deinem Schopf fangen wir an. Die Stimme kommt wie von weither. Inzwischen liegt kaltes Leder an meinen Hand- und Fußgelenken und um den Hals. Um Tanjas auch. Ich fühle ihren an meine Seite gepressten Körper. Während es einschmeichelnd summt, wird ihr Druck stärker.
Sehen Sie nicht hin! Damit erreicht die Schwester, dass ich den Kopf so hoch hebe, wie die Halskrause es zulässt. Die Locken, Tanjas wunderschöne Locken! Da liegt ja eine Glatzkopfpuppe! Als spürte das Kind meinen Blick auf seinem entblößten Schädel, hebt es den Kopf. Ich heule. Ich bäume mich auf. Mit einer mir unbekannten Kraft lockere ich die Riemen. Ich befreie erst mich aus den Fesseln, dann Tanja, schlage um mich, stoße die verdutzte Jutta zurück, packe mein Kind. Renne. Egal, ob wir für diese Welt tot sind. Wir werden leben.
Die Schwester brüllt: Aber warum wollen Sie denn nicht ewig…Auch Tanja wehrt sich, macht sich schwer.
… Also nicht abgeschaltet? Trockenbaums haben an mich gedacht? Ich schleife meine kahlköpfige Tochter hinter mir her. Bleibe zögernd stehen. Drehe um. Höre Schritte näher kommen. Laufe wieder los. Zweifle und bremse. Denke, welche Ewigkeit die Maschine auch vollstreckt; draußen bleibt uns ein Vielleicht. AberBekomme den Gedanken nicht zu Ende. Die Verfolger haben uns fast erreicht. Da zieht mich Tanja vorwärts. Mit mir an der Hand gegen die anderen um die Wette zu laufen – was für ein Spaß. Meine Lunge ist voll, mein Herz pumpt kräftig, meine Füße federn. Ich kann schneller rennen als Tanja, aber ich lasse sie nicht los …


Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition

Montag, 31. August 2009

Abea


Die folgende Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten “Mein außerirdischer Liebhaber” bei der dorante Edition.:

Abea (1)


Möchte ich in fremden Gehirnen lesen können, vor allem jetzt in seinem – wo ich sowieso schon zu viel weiß? Für meinen Beruf wäre es von Vorteil. In diesem Fall aber …. Nein, wahrscheinlich möchte ich es nicht.
Ich leite den Mann zu dem Platz, an den er sich in den Sitzungen gewöhnt hatIch ahne, was wirklich war, aber sträube mich, wie er, gegen die Wahrheit.
Er hatte sich freiwillig gemeldet. Sondereinsatz, Sonderprämie. Sie übertrugen die Erfahrungen ihrer langjährigen überlegenen Demokratie auf das Land dieses Diktators. Klar, wurde auf sie geschossen, mussten sie für Ordnung sorgen, Waffen einsetzen, die mit Splittern und mit Strahlen alle potentiellen Mörder und Terroristen für immer handlungsunfähig machten. Dann entstanden schon einmal Berge von Menschenteilen, die sie nicht liegen lassen konnten. Schließlich waren sie hier, um Ordnung zu bringen. Und er war dran, im Schutzanzug die Terroristen zu einem Haufen zusammenzukarren, damit sie umweltverträglich entsorgt würden.
Da entdeckte er sie.
Es war eigentlich unmöglich. Die eingesetzten Befriedungsmittel durften kein Zucken zurücklassen. Doch ihre Augen sahen ihn an. Sie waren groß und wunderschön. Dunkel wie die feuchte, fruchtbare Krume seiner Heimat, frisch durchgegrubbert nach der Schneeschmelze im März. Sie schienen zu sagen, ich habe dich lieb, du Gespenst. Ich will dich retten. Hatte er das gelesen? Von diesem Gespenst von Canterbury? War er das Gespenst, das gerettet werden musste?
Er achtete nicht auf die anderen ringsum. Sah nur dieses Mädchen. Zog es aus dem Körperberg hervor. Es war verschwitzt. Eine kleine Schramme an der linken Schläfe wurde vom sandigen schwarzen Kraushaar halb verdeckt, ansonsten aber schien es unverletzt. Das Kleid oder wie man dieses Kleidungsstück nennen mochte, Burnus oder so, war gleichfalls an der linken Schulter zerrissen, so weit, dass es eine bubenhafte Brustwarze hervorschauen ließ. Das Mädchen hatte nicht die Kraft, die Blöße zu bedecken. Leben war nur noch in seinen Augen.
Für einen Moment wollte er das Kind zu dem restlichen Haufen stoßen. So verstrahlt, wie es war, würde es sowieso bald sterben. Ein Gnadenschuss würde es vor Qualen bewahren. Aber da war immer noch dieser Blick, diese Augen.
Was für ein Unsinn! Was dachte er ausgerechnet jetzt an Samantha, die so gern ein Kind gehabt hätte? Ein unbegreiflicher Reflex bewegte seinen Mund: „Wie heißt du, Mädchen?“
Er dachte sofort: Sam, bist du blöd! Sie kann dich nicht verstehen. Du müsstest durch deinen Anzug viel lauter sprechen. Und selbst dann – wie sollte dieses Mädchen deine Sprache verstehen?
Da hörte er Laute aus ihrem Mund: „Heißt du Mädchen Abea.“
Der Sergeant Samuel Mc Fadden packte das Kind an den Armen, schleppte es von dem Körperentsorgungshaufen fort zu seiner Batterie, und er drehte sich auch nicht um, als hinter ihm die Flammen mit einem dumpfen Puffen anfingen, den anderen Körpern Gnade zu erweisen.

Sonntag, 30. August 2009

Abea (2)


(Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:)
...
Sie war über eine Schwelle getreten.
Hinter ihr war nichts, jedenfalls nichts, woran sie sich hätte erinnern können. In diesem Moment wusste sie nicht mehr, was sie jemals erlebt hatte, vor allem nicht, was gerade passiert war. Nur, dass sie sich nicht bewegen konnte. Um sie herum stank es fürchterlich und niemand war da, bei dem sie das hätte beklagen können.
Plötzlich stand ES vor ihr. ES war sehr groß, glänzte weiß, hatte keine Haare, keinen richtigen Mund, aber riesige ovale Augen. Beine auch, aber die bemerkte sie erst später. Sie bestaunte die fremden Riesenaugen.
Du wirst mir nichts tun. Ich habe dich lieb. Ich habe überhaupt keine Angst vor dir. Ich habe dich lieb.
Abea wunderte sich. Deutlich verstand sie, dass ES an eine Samantha dachte. Die hatte traurige blaue Augen und locker auf die Schulter fallende Haare von der Farbe der Wüste bei Windstille. ES dachte Gnadenschuss und Abea hätte zu gern gewusst, was das bedeutete. ES wollte wissen, wer sie war. Und Abea nahm die Worte von IHM und ergänzte ihren Namen.
Abea zögerte. Sie wollte zurückfragen, aber ES würde sie ja nicht verstehen. Da riss ES sie nach oben, und Abea sah vor sich einen schwarzen Himmel.
Ich kann Ihnen das nicht erklären. Glauben Sie mir. Ich würde gern, aber ich kann es mir selbst nicht erklären. Die meisten Zellen ihrer Abea sind radioaktiv aufgeladen. Aber sie strahlen nicht nach außen. Und das Seltsamste: Ich kann bisher keinerlei krankhafte Veränderungen feststellen.“
Bitte, Herr Doktor, reden Sie Klartext! Wie lange hat sie noch zu leben?“
Das kann ich einfach nicht sagen. Der Strahlenbelastung nach wäre sie längst tot, von der Wahrscheinlichkeit her muss die Strahlenkrankheit bald bei ihr ausbrechen. Spätestens dann bleibt Ihnen nichts mehr zu tun, als der Kleinen die Leiden zu mildern.“
Sie finden unsere Idee also verrückt?“
Der alte, bedächtig sprechende Chefarzt der Spezialklinik vermied es, Samantha und Samuel Mc Fadden in die Augen zu sehen.
Bitte fragen Sie mich nicht! Ich an Ihrer Stelle würde mir das alles noch einmal gründlich überlegen.“
In diesem Augenblick ging die Tür auf. Für einen winzigen Moment stand Abea abwartend da, die Klinke in der Hand, die dunklen Augen funkelten Sam an. Dann flog sie ihm entgegen, als hätte sie einen kräftigen Tritt bekommen. Sie landete auf seinem Schoß, und ihre Arme zogen Samanthas Kopf zu sich heran, drückten ihn und krabbelten mit den Fingern durch die blonden Haare, als suchten sie darin wenn schon nicht Läuse so doch wenigstens Wüstensandkörner.
So lange es geht, lebt Abea als unser Kind“, entschied Sam, wobei er abwechselnd zu Abea und dem Arzt blickte.
Und das Kind warf dem Mann in dem Kittel einen trotzigen Blick zu. „So lange es geht, lebt Abea als unser Kind“, wiederholte es störrisch.
Auf der Straße in die Kleinstadt, dort, wo man mehr als fünf Achtel des Himmels über sich sah, schwieg Sam vor sich hin. Seine freie Hand lag in der linken Samanthas.

Samstag, 29. August 2009

Abea (3)


(Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:)

... Es war schon ein seltsames Gefühl. Zur Schule gehen. Mit Kindern, die hier groß geworden waren, alle Wörter kannten, die fremden Dinge, die sie bezeichnen sollten, ja, die sogar genauso aßen wie ihre Nachbarn.
Sag, ich heiße Abea!“
Das hatte ihr Sam erklärt, den sie jetzt Dad nennen sollte. So tat sie es auch, als sie allein mit der Lehrerin vor der Klasse stand. Trotzdem lachten die meisten. Vielleicht hatte sie die Laute nicht richtig betont.
Mrs. Widerman winkte. Daran erkannte Abea, dass vorn dort war, wo die anderen Kinder hinsahen, wenn sie sich nicht gerade feixend wie jetzt zu ihr umdrehten.
Mrs. Widerman fragte so boshaft, als wäre völlig klar, dass Abea nicht wissen konnte, wie viel zwei plus drei sei. Aber sie dachte dabei fünf, so dass Abea laut „Fünf!“ sagte, und auch, als die Aufgaben schwieriger wurden, dachte die Lehrerin immer an die Lösung, die Abea nur laut nachsagen brauchte.
Viel hatte Abea nicht verstanden, aber weil alle ihre Antworten richtig gewesen waren, galt sie von nun an als Rechenass. Rechnen war auch leichter als die fremde Sprache, von der man so viele Worte mit so vielen Bedeutungen behalten musste, und David, der immer am lautesten dachte, formulierte so viele falsche Sätze.
Abea lernte schnell.
Trotzdem war sie traurig. Mathew hatte immer solche Angst vor dem Unterrichtsschluss. Sie fragte ihn, warum er nicht mit den anderen loslaufe.
Lass mich in Ruhe“, antwortete er abweisend. Aber da kamen schon Hobbes und dessen Gang und schlugen auf den kleinen schwarzen Jungen ein. Überrascht und hilflos stand Abea daneben.
In der nächsten Pause jedoch stellte sie sich vor Hobbes hin.
Warum lässt du Mathew nicht in Ruhe?“
Die anderen aus der Klasse bildeten einen Kreis um sie. Hobbes grinste. Sein Gedanke kam genauso schnell oder langsam wie seine Worte: „Weils einfach Spaß macht. Aber wir können ja auch dich nehmen.“
Fast alle lachten.
Nur Benny stand in der Ecke und dachte, Mädchen schlägt man nicht. Er fürchtete sich, das laut zu sagen. So war Abea am Schluss der letzten Stunde auf ihn zugegangen, hatte ihn an der Hand genommen und war mit ihm schweigend durch die Gasse der verwirrten restlichen Jungen geschritten.
Schwarze Hexe!“, rief Hobbes. Aber Abea hätte nicht sagen können, ob das abschätzig oder zumindest etwas anerkennend gemeint war. ...

Mittwoch, 26. August 2009

Abea (5)


(Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:)

... Aber die Klasse hatte sich verändert.
Abea war Hobbes lange aus dem Weg gegangen. Das, was sie an Gedanken aus seinem Kopf hörte, quälte sie. Was konnte sie denn dafür, dass sein Vater von dort unten die tödliche Krankheit, ihr Dad dagegen sie mitgebracht hatte?
Dann merkte sie, dass sie immer mehr Mitschüler mieden. Wie eine Fahne zog sie den Titel „Schwarze Hexe“ hinter sich her. In ihrer Gegenwart sprach ihn niemand aus, aber das war vielleicht noch schlimmer: Es aus den zurückgebliebenen Gedanken der anderen lesen zu müssen, wie sie in ihrer Abwesenheit über sie hergezogen waren.
Hobbes war größer, älter und kräftiger als die anderen. Auf dem Heimweg von der Chorstunde, die jetzt auch keine richtige Freude für Abea mehr war, stand er plötzlich mit fünf anderen Jungs vor ihr. „Na, Cleopatra, bist du eigentlich beschnitten? Ihr Araberweiber sollt ja so scharf sein, dass ihr es anders nicht aushalten könnt. Na, ich beschneide dich gern. Wo auch immer.“
Sie hörte die anderen denken, lass den Quatsch, was soll das! Aber keiner sagte etwas. Sie konnte sich losreißen, rannte, rannte, rannte.
Zu Hause redete gerade die Mutter von Samantha auf Abeas Pflegeeltern ein, ohne das Kind in der Tür zu bemerken: „… Wir haben dreißig Rollen bekommen. Wir dachten, am Wochenende tapezieren wir zusammen. Rosa Wölkchen. Sind die nicht niedlich?“
Wortlos verzog sich Abea auf ihr Zimmer.
In der Schule häufen sich in letzter Zeit die Fälle von … Also, wenn es nicht so verrückt klänge, dann würde ich sagen Strahlenkrankheit. Genau genommen betrifft das die ganze Klasse Ihrer Tochter bis auf … na, eben bis auf Ihre Tochter selbst.“
Das kann ja wohl nicht wahr sein.“
Samantha hatte sich erhoben.
Mrs. Widerman war ebenfalls aufgestanden.
Ich glaube es natürlich auch nicht. Aber an mich ist von mehreren Eltern die Bitte herangetragen worden, mit Ihnen zu sprechen. Sie mögen Ihr Kind aus unserer Schule nehmen. Wie gesagt, das …“
Ich versteh schon! Auf Wiedersehen!“
Samantha stürmte wutentbrannt heim. Kurz vor ihrem Haus traf sie ein Stein in der Nierengegend.
...

Dienstag, 25. August 2009

Abea (6 = Schluss)


... Stumm horchte Abea an Samanthas Bauch, dort wo jetzt nichts mehr zu hören war. Sie spürte die Hand der weinenden Mutter auf ihrem Kopf, aber sie hörte auch deren Gedanken.
Wenn du nicht wärst, dann wäre bald mein eigenes Kind da.
Leise war hinter ihnen die Tür aufgegangen. Müde warf Sam seine Tasche in eine Ecke, so dass sich „seine beiden Frauen“ erwartungsvoll zu ihm umdrehen.
Abeas Werte sind jetzt okay. Burkland konnte nicht die geringste Radioaktivität mehr in ihren Zellen feststellen.“
Das Mädchen sprang auf, lief die Treppe hinauf, schloss sich in ihr Zimmer ein, warf sich aufs Bett und prügelte mit der Stirn auf das unschuldige Kopfkissen ein.
Oh, könnte sie doch endlich die fremden Gedanken von sich fern halten. Nein sie war kein Monster! Nicht einmal „Unser Monster“, wie in Mums Gedanken! Nein, das schon gar nicht.
Am nächsten Morgen stiegen nur noch vereinzelt Qualmwölkchen aus dem niedergebrannten Haus der Mc Faddens. Samuel Mc Fadden hielt seine zitternde Frau in den Armen. „Nicht auch noch Abea, nicht auch noch Abea!“
Wieder ist eine Stunde um.
Auf dem Schreibtisch liegt eine verschmierte Notiz. „Von einem etwa zehnjährigen Mädchen, welches ein Armeeangehöriger namens Mc Fadden oder wie auch immer angeblich aus dem Krieg mitgebracht haben will, ist im Stab nichts bekannt.“ Mir ist so egal, ob Sam sich Abea ausgedacht hat, um sich vielleicht für ein Kind zu entschuldigen, das dank seines Einsatzes gestorben ist, er bei mir nur Bestätigung sucht, dass er nicht anders hätte handeln können, oder was auch immer. Ich habe mein Geld damit verdient zuzuhören. Ich möchte nicht mehr darüber reden. Ich verabschiede den halb mumifiziert wirkenden Mann mit einem Händedruck. Die letzten Worte seiner Geschichte klingen in mir nach: „Für einen Moment, einen winzigen, aber eben einen vorhandenen Moment, ging mir durch den Kopf. Ach wäre sie doch damals schon mit verbrannt …“

 Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition.

Mittwoch, 27. August 2008

Abea (4)


(Die Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:)

... Längst wusste ich nicht mehr, wer ich und wer Sam war, und wer … Nein, natürlich wusste ich um Abea. Aber in meinem Gehirn verschwamm Sams Erzählung mit Bildern, die sie heraufbeschworen, zu einem neuen Film. Anfangs hatte ich mich noch gefragt, wieso er von Erlebnissen Abeas erzählen konnte, bei denen er nicht dabei gewesen war. Irgendwann bildete ich mir aber selbst ein, manche Szene mit den Augen jenes Mädchens zu erleben. Da wusste ich schon nicht mehr, ob ich nicht selbst die Geschichte neu erzählte. Ich fertigte keine Protokolle mehr an, ich beschwor genau wie Sam das Mädchen Abea als Geist herauf, und sie erschien mir, weil ich – wie Sam – nicht sein wollte, wie ich in Wirklichkeit war.
Aus der kleinen Schule von Louisville hatten sieben Jungen ihr geregeltes Einkommen in der Armee gefunden. Sie alle überstanden das Abenteuer Krieg lebend. Doch nur wenige Wochen, nachdem sie wieder im heimatlichen Stützpunkt zurück waren, sahen die Jungs fast täglich ausgemergelter aus. Mit Beginn von Abeas nächstem Schuljahr war von allen nur noch Sam am Leben. Im Drugstore hatte Samantha den Eindruck, als brächen alle Gespräche ab, kaum, dass sie zur Tür herein kam.
Sam, ich habe den Eindruck, die warten richtig darauf, dass du endlich stirbst.“
Aber Samantha! Glaub mir, da können sie lange warten.“
Trotzdem karrte er seine Familie zu Burklands Spezialklinik.
Der Chefarzt begrüßte sie zum Auswertungsgespräch mit einem entspannten Lächeln.
Sie sind so gesund wie eh und je. Und was ihre Abea angeht: Es hat sich nichts verändert. Alle Werte wie damals. Was soll ich sagen? Die Katastrophe kann unmittelbar vor der Tür stehen, aber inzwischen hätte ich genau wie Sie Hoffnungen auf ein glückliches Ende.“
Sie wollten schon aufstehen, da lächelte der alte Arzt richtig spitzbübisch.
Ach ja, Mister Mc Fadden, apropos Hoffnungen. Ihre Frau meinte, aus meinem Mund glauben Sie es am ehesten: Rechnen Sie mit dem ersten eigenen gemeinsamen Nachwuchs. Für Sie wird scheinbar alles Unmögliche möglich.“
Sam und Samantha bemerkten in ihrem erwartungsvollen Glück die Angst in Abeas Augen nicht.
Auf das Schwesterchen freute sie sich. Die Mum war ganz anders, wenn sie, Abea, an ihrem Bauch horchen wollte, was denn das Kleine darin so empfinde. Stundenlang hörte Samantha dem Mädchen zu, wenn es so lustig die angeblich gerade erlauschten Gedanken des künftigen Schwesterchens nacherzählte.
Nein. Das war es nicht. ...