Sonntag, 24. November 2013

SF-Story 6 in "Der lebende See": Mit dem Toaster fing es an oder Die Kraft der linken Hand (Anfang)

Die Geschichte der Menschheit gliedert sich für mich in zwei Phasen: die Zeit bevor und die Zeit, nachdem mein Toaster klemmte.
Wenn ich aufstand, also in der Zeit davor, tat ich immer so, als hätte ich es verdammt eilig, zur Arbeit zu kommen. Ich kämpfte die Müdigkeit mit vielen Tricks nieder und überlegte, an welchen Stellen ich Zeit sparen konnte. Besonders wichtig erschien es mir, die morgendlichen Aufgaben straff durchzuorganisieren. Im Kopf hatte ich den genauen Ablaufplan der Kleinigkeiten, welche bis zum Arbeitsbeginn zu erledigen waren. Da war das Frühstück zu bereiten, Bad und Toilette zu bewältigen, der Computer hoch-zufahren und so weiter. Möglichst mussten die Arbeitsgänge so angeordnet werden, dass ich nirgendwo warten musste, dass also – nur so als Beispiel – der Computer hochfuhr, während ich frühstückte, oder der Toaster seine Aufgabe erfüllte, während ich mich wusch, aber der Toast noch heiß genug war, wenn ich ihn schmieren und essen konnte.
Entscheidend war, dass ich an jenem Morgen zum Frühstück wieder einmal Toastbrot beschmieren wollte. Dazu musste ich die Scheiben natürlich zuerst toasten. Wie gesagt: Das Warten auf den Toaster war einer jener Zeiträume, in denen ich anderes Nützliches erledigte. Ich schob also zwei Scheiben in den Apparat und eine legte ich quer darüber, um die Restwärme auszunutzen. Wie immer war eine kurze Toastzeit eingestellt. In dem Moment, in dem ich den Schalter nach unten drückte, war ich gedanklich bereits im Büro beim Computer, der in aller Ruhe hochfahren sollte. Ich lief ins Wohnzimmer, drückte ON und ging ins Bad. Es war immer ein wunderbares Gefühl, wenn ich beim Frischmachen wusste, dass zur selben Zeit mehrere Geräte etwas für mich schafften. Dieses Gefühl wurde an jenem Morgen aber durch ein anderes gestört: Ohne dass dies zu erwarten gewesen wäre, vertrieb ein kräftiges Aroma von frisch Verbranntem alle anderen Gerüche.
Bereits in der Tür zum Korridor begrüßte mich Rauch. Als ich jedoch – nun schon stärker beunruhigt – die Küchentür geöffnet hatte, stand ich plötzlich in undurchdringlichem Qualm. Hätte ich ausgerechnet da an die Weltgeschichte denken sollen, nur weil ich das sonst fast immer tat? Ich tat es jedenfalls nicht. Fast gleichzeitig riss ich den Stecker aus der Dose, packte mit einem Tuch den Toaster, schleuderte ihn in die Spüle (ein braunes Muster ist immer noch zu sehen), befeuchtete das Tuch und mit dem Tuch die schwelende Tapete, schob den Blumentopf vom Fensterbrett, riss das Fenster auf, rannte ins Wohnzimmer, riss auch dort das Fenster auf, begann tief einzuatmen … und als ich darüber nachdachte, was ich frühstücken könnte und dass ich glücklicherweise noch einen halben Eimer Restfarbe vom letzten Küchenanstrich im Keller hatte, interessierten mich Datum oder Weltgeschichte immer noch nicht. Eher, ob ich eine Rauchvergiftung haben könnte, und wie lange der Gestank in der Wohnung bleiben würde. Ob mir im Ablauf der sich überschlagenden Ereignisse ein Stück Film fehlen könnte, ich vielleicht einen elektrischen Schlag bekommen und es geblitzt hatte oder Ähnliches, weiß ich nicht mehr. Heute bilde mir das ein, aber wahrscheinlich habe ich mir das nachher dazugedacht. Eben, weil es so wahrscheinlich ist … Aber um ganz ehrlich zu bleiben: An den alles entscheidenden Punkt – und den muss es gegeben haben – kann ich mich nicht erinnern. Ich setzte den Tag fast normal fort … also soweit eine Wohnung voller Restrauch normal ist.
Dann aber besuchte mich mein Sohn. Er beklagte sich wie immer über seine Probleme beim Studium und ich wies ihn darauf hin, dass das alles viel leichter zu ertragen wäre, wenn er denn endlich eine zu ihm passende Freundin fände (es stellte sich heraus, dass sein „Studienproblem“ in einer bestand, die ihn gerade hatte abblitzen lassen) und er würde das schon packen. Ein Gespräch unter Männern also, und es war nur ganz natürlich, dass ich ihm väterlich ermunternd auf die Schultern klopfte. Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich mit der linken Hand zugeschlagen hatte.
Man stelle sich meine Verblüffung vor, als mir mein Sohn vielleicht eine halbe Stunde später ohne Vorwarnung erklärte, er habe sich das genau überlegt und er habe beschlossen, er würde Kommunist. Wörtlich genau dies!
Bis zu diesem Augenblick war die einzige politische Rolle, für die er sich je interessiert hatte, die des Magiers in „World of Warcraft“. Selbst ich hatte ihn im Unterschied zu den meisten anderen Menschen, mit denen ich zu tun gehabt hatte, nicht mit Politischem belästigt. Wissen quält und über die Leser der BLÖD-Zeitung hätte Jesus sicher gesagt, dass glücklich sei, wer da arm ist am Geiste. Warum also sollte ich meinem Sohn nicht ein Stück Glück gönnen – noch dazu, wo er mir an fast allen Tagen des Jahres fern war und ich ihn deshalb nie hätte beschützen können? Irgendwann hatte ich es aufgegeben, ihn zu belehren – er war eben anders als ich.

Und nun begann er mir einen Vortrag zu halten! ... 

Donnerstag, 21. November 2013

SF-Story 5 in "Der lebende See": Der lebende See (Anfang der Titelgeschichte)

Erinnerung? Nein. Eine Katastrophe? Ja. Blitze ... Bilder ohne Davor und Danach. Fürs Logbuch nicht verwendbar. Zu viele Lücken. Ich kann sie nicht füllen.
Sollten irgendwann Menschen nach Spuren unseres Untergangs auf diesem Planeten suchen, dann finden sie hoffentlich die Trümmer des Raumschiffs. Wenn sie die untersuchen, werden sie hoffentlich rekonstruieren können, was passiert ist. Zum technischen Versagen hätte ich sowieso fast nichts schreiben können … selbst wenn ich das Logbuch noch fände. Wahrscheinlich traf mich bereits beim Eintritt in die Atmosphäre ein Stoß, der mir das Bewusstsein nahm. Vielleicht hat mir genau das das Leben gerettet. Jedenfalls weiß ich nicht, was die anderen unternommen haben, bin aber sicher, dass sie nicht mehr am Leben sind. Mindestens einer von ihnen hat mich offenbar gerettet. Bei den ersten Bildern in meiner Erinnerung renne ich wie ein Wahnsinniger. Mein Raumanzug steht in Flammen und die Hitze dringt durch und im Laufen versuche ich, ihn auszuziehen, das Feuer abzustreifen. Wie ich auf die Idee kam, hinter mir gäbe es gleich eine Explosion und ich würde nur überleben, wenn ich dann weit genug weg wäre, weiß ich nicht. Auf keinem dieser Erinnerungs-bilder trägt oder stützt mich jemand, aber allein kann ich eigentlich nicht aus dem Raumschiff herausgekommen sein. Ich habe ja gerade erst entdeckt, dass das Raumschiff nicht im Orbit geblieben, also keine Landekapsel eingesetzt worden ist. Alle heimlichen Hoff-nungen auf schnelle Rettung vom Schiff im Orbit waren also von Anfang an unbegründet. Ich bin doch nur ein Mensch mit Hoffnung bis zum Schluss, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass man noch nach uns sucht und wenigstens andere Erkunder so rechtzeitig auf diesen Planeten stoßen, dass diese Aufzeichnungen noch gelesen werden können. Ich weiß ja nicht einmal, ob meine Sprache wirklich aufgezeichnet wird, weil die Wiedergabe nicht funktioniert. Der kleine Monitor zeigt Kurven, als sei alles in Ordnung. Sonst ist fast alles zertrümmert. Die Wunderwerke menschlicher Technik sind Schrott, vor allem Elektronikschrott. Vielleicht finden mich gleich die Schla. Und vielleicht vernichten sie dann alle meine Spuren, weil sie die künftige Harmonie ihrer Gemeinschaft stören könnten. Das wär's dann gewesen.
Dabei …
Wäre es nicht so unwahrscheinlich … Also ich bin über eine Wiese gerannt. Hinter mir eine Explosion. Wahnsinnige Schmerzen, als ob ich bis auf die Knochen glühen würde. Im ununterbrochenen Rennen, Stolpern, Hinfallen, wieder Aufstehen, Rennen muss ich mir den Schutzanzug heruntergerissen haben und die Unterkleidung gleich mit. Es fühlte sich an, als schälte ich mir die eigene Haut ab. Vielleicht bin ich auch danach noch weitergelaufen. Aber vor schreiendem Schmerz verlor ich wieder das Bewusstsein.
Dann war da die Vorstellung, ich sei ein Fisch mit glühenden Schuppen, versunken in Schmerz. Riesige Facettenaugen, die mich anstarrten, mich nach etwas zu fragen schienen, wovor mich die immer wieder schnell einsetzende Bewusstlosigkeit schützte.
Irgendwann hatte ich endlich das Gefühl, ich wachte aus diesen Albträumen auf. Ich merkte, ich lag weich und hatte wirklich geschlafen und nun war es Zeit, richtig aufzuwachen.
Angst. Nur nicht die Augen öffnen. Warum nur war ich so sicher, ich wäre erblindet? Diese Blitze, die Hitze, das war so furchtbar echt. Und etwas stimmte mit meiner Haut nicht. Sie juckte etwas und … sie musste verbrannt sein! Noch immer mit fest geschlossenen Augen begann ich Finger zu bewegen, die Füße, die Arme, die Knie anzuwinkeln. Hatte ich vielleicht alles nur geträumt? Keine der Bewegungen bereitete mir Schmerzen. Es war nur komisch an der Haut. Als wäre ich in ein Nachthemd aus Seilen eingewickelt.
In diesem Moment drangen Lichtstrahlen durch die geschlossenen Lider. Ganz kurz nur. Danach hatte ich den Eindruck, es wäre jemand neben mir. Genauer, es schienen zwei Jemande zu sein. Warum schwiegen sie mich an? Ich würde den Augenblick nicht endlos dehnen können und die Augen öffnen müssen.
Tat es und schloss sie sofort wieder. Mich begafften keine Menschen. Das waren … Menschenähnliche? Sagt man so? Ich sah zwei Köpfe vor mir, also eigentlich die Gesichter. Wenn ich mich nicht täuschte, dann standen zwei Wesen neben mir im Raum, beide insgesamt deutlich kleiner und zierlicher als Menschen. Ihre Köpfe aber …
Ich blinzelte, hoffentlich unauffällig. Das Gesicht unmittelbar vor mir konnte sogar das eines Mädchens sein. Zumindest hatten die Züge etwas Weiches. Es war im Prinzip alles da, was auch in einem Menschengesicht zu finden gewesen wäre. Nur war alles etwas zu groß geraten und wurde beherrscht von eben jenen Facettenaugen, die mir im Albtraum begegnet waren. Dagegen wären Froschaugen als schön durchgegangen. Wie kam ich eigentlich auf Facetten? Sicher war nur, dass sie nichts Menschlich-Schönes an sich hatten.
Dann kam der nächste Schock. Jenes Wesen, das ich für ein Mädchen hielt, gab Geräusche von sich. Es klang wie ein an- und abschwellendes Summen. Ich glaubte, lauter Ens und Ems aneinandergefügt zu hören. Das weiter hinten sitzende Wesen summte dem Mädchen etwas zu, woraufhin es noch betonter modulierte. Und endlich begriff ich: Das Mädchen hatte gesprochen und sprach schon wieder! In einer Sprache, die ich verstand! Nur mit einem extrem fremden Klang. „Ich bin Wroohn. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Wir Schla meinen es gut mit dir. Der See gab dir dein Leben wieder.“
Als sie noch einmal mit diesen Sätzen von vorn begann, murmelte ich: „Ich verstehe dich. Ich bin Jonathan, John, ein Mensch. Danke!“ Aber ich begriff nicht, wieso ich einfach so eine fremde Sprache beherrschte. Dass es nicht meine auf der Erde gelernte, sondern die hiesige war, war mir bewusst. Es war beängstigend. Woher kannte ich die?
So wurde ich aufgenommen in die Gemeinde der Schla, wurde einer der ihren.

Das Schwerste war die Gewöhnung an ihre allgegenwärtige Hässlichkeit. ...